Sehnen nach Hause

Meine liebe Lydia!
Heute Morgen aus der Stellung zurückgekehrt. Habe dieses mal leider mehr Verluste gehabt wie sonst: 3 Tote und 8 Verwundete. Darüber auch einer vom Ersatz 30. Im ganzen sind jetzt von unserer früheren 1/80 Comp. 5 Tote da, die Verwundeten weiß ich nicht alle, aber es ist eine große Anzahl. Am Sonntag Nachmittag ist von den 2/59 in unserer Stellung, die wir am Montag zu besetzen hatten, ein kleiner franz. Schützengraben genommen worden. Wir machten einige Gefangene, das h. die 2. Comp., ich glaube 7 Stück. Fünf davon sah ich … [?] dem Brigadegeneral vorgeführt. Es waren ältere Leute von ca. 40 Jahren. Wir liegen hier wieder wie sonst in dem Stationsgebäude und mit dem Brigadegeneral unter einem Dach. Wieviel Tote und Verwundete es auf beiden Seiten gegeben, weiß ich nicht. Nur die Folge davon war, als ein Teil unserer Comp. am nächsten Tage den eroberten Graben besetzt hielt, dieser viel feindliches Artilleriefeuer bekam. Woher die Verluste. Die Toten für hier sind nach Corteville gebracht und mit militärischen Ehren begraben worden. Gleich will ich nach dem Friedhof und die Gräber, besonders das des Landwehrmanns aus Frankfurt besehen. Dann auf Wunsch seinen Eltern von dem Ableben Kenntnis geben. Er starb an einem Granatschuß. Ist unverheiratet. Der mit Dr. Simon Bekannte ist auch im Laufe der Woche durch Armschuß verwundet worden. Gestern erhielten wir wieder neuen Ersatz. Wieviel weiß ich nicht.
Erhielt heute morgen groß Post. 8 Pakete, 2 mit Chokolade, Wickel-Gamaschen, Taschenlampe, Spekulatius, Kaffee und Würfel und 1 Holzhandlung mit Cygarren und die Briefe vom Hause bis zum 30. Außerdem 1 Karte von Rentrop und Fritz. Habe mich ordentlich daran erholt. Kaffeemehl und Speck ist schon mit dem größten Apetit [sic] in Gemeinschaft mit den Kameraden verzehrt. Haben gleich, wie wir aus Stellung kamen und nachdem die Post verteilt war, Kaffee gekocht und das Gebäck dabei gegessen. Die Gamaschen sind gut. Ebenfalls die Taschenlampe. Ein Paketchen mit ca. 20 Suppenwürfel und Kaffeemehl kannst Du noch schicken. Man kann in Stellung draußen am schnellsten etwas nahrhaftes anrichten. Nun auf Eure Briefe zurück. Die Hohenlimburger haben ja inzwischen Nachricht von mir bekommen. Ist Lehrer Hildebrand früh Witwer geworden. Steht der nicht im Felde? Daß manche es mit ihrer Ehepflicht nicht genau nehmen, ist sehr bedauerlich, und man sollte es nicht für möglich halten. Doch habe ich auch hier in Belgien ähnliches gehört, möchte dem Brief nicht alles anvertrauen und sprechen wir mal später mündlich darüber. In dieser Sache sind ich und Du eins, und kann solche Leute nicht begreifen. Hier die Männer an der Front denken jedenfalls zu Hause sei alles in Ordnung und kennen nur ein Sehnen nach Hause. Können die Leute sich auf das Ende des Krieges freuen und sich sehnen nach einem Wiedersehen nach dem Ihren? Doch wird die Schuld meistens auf beiden Seiten zu finden sein. Von uns kam auch 1 Untfz auf Reklamation ganz frei. Ob die Landwehr rauskommt ist immer noch nicht bestimmt. Es heißt jetzt zum 16 dss Mts. Es soll mich wundern! Von dem Spelsberg habe ich bereits die Todesanzeige gelesen. Erst glaubte ich mit der Wurst, die wir hier bekommen, auszukommen, aber von Hause schmeckt es immer doch besser, und manchmal sind die Portionen in letzter Zeit knapp. Die wasserdichte Hose hättest Du mal lassen sollen, es geht doch dem Frühjahr zu. Wenn Du noch nicht gekauft, bitte ich dies nicht zu tun. Auch ich habe in der vergangenen Nacht von Dir geträumt, es war für mich eine Enttäuschung beim Erwachen, ich war wirklich bei Euch zu Hause. Hoffentlich bewahrheitet es sich bald, daß ich im ganzen bei Euch sein kann. Ich kann mir die Freude des Wiedersehens nicht ausmalen. Haben wir uns auch manchmal geärgert, erst die Trennung muß die Fehler erkennen lassen. Morgen dann mehr. Nun mit Gott. Gruß an unsere l. Kinder. Besonderen Gruß und Kuß für Dich Allerliebste Dein Ernst.
Von Wiblingwerde noch neue Todesnachricht bekommen. Egon schrieb mir doch?


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