nahe den Frieden zu denken, wagt man gar nicht mehr

Meine liebe Lydia!

Nun den mit Karte versprochenen Brief. Es ist jetzt 9 Uhr Abends, heute keine Zeit dazu gehabt. Die Post brachte heute Deine Briefe vom 9. und 11., sowie 1 Brief vom 10. von Egon. Zunächst zur Beantwortung Deiner Briefe folgendes: (Aber 1 Paket mit Butter, Wurst und Chokolade erhielt ich auch noch). Im Gegenteil zu dort haben wir in den letzten Tagen das schönste Frühlingswetter, es fängt überall zu knospen und zu grünen an. Speckenbachs Kommando ist für die Dauer. Er muß vielleicht auch alle 8 Tage mal einmal in die vorderste Linie, da auch dort Tel[efon] ist. Kann aber im übrigen vom Glück noch sagen. Vielleicht schreibe ich dem Egons Kühle auch mal. Von der kritischen Lage mit Italien hörten auch wir, eine Verständigung ist für alle am besten. Ich denke immer noch, Raab kann noch zurückbleiben, es wäre das Allerbeste. Ich glaube nicht, daß die Landwehr II ausgesondert, bereits verwundet gewesene sind wieder eingestellt. Es müßte ein zufälliges Kommando mich hinter die Front bringen. Ich denke immer, wem eine Kugel zugedacht ist, bekommt sie. Man kann ebenso gut hinter der Front fallen, wie in der Feuerlinie. Du siehst den Fall an Bernh. Schulte. Ich habe jetzt noch 4 paar [sic] Strümpfe und brauche wohl keine mehr. Kapute [sic] Sachen lasse, oder habe ich mir hier so weit wie angängig gegen Bezahlung wieder in Ordnung bringen lassen, oder soweit ich es konnte selbst getan. Eine Batterie könnte ich gebrauchen. Mit der Taschenlampe habe ich Pech gehabt. Die Leuchtgläser mit Birnen sind nämlich auf die eigentliche Länge leicht aufgelötet. Bei meinem letzten Gang in die vorderste Stellung verlor ich infolge eines Stoßes von einem Gegenstand dieses im Laufgraben. Müßt denken, die Ablösung erfolgt immer im Dunkeln. Die Laufgräben sind mit schmalen Brettern ausgelegt welche auf eingerammten Pfählen liegen, es kommt dabei vor, daß man an dem Brett vorbeitritt und man steht im Wasser oder Schlamm und das giebt dann manchmal keinen unsanften Stoß. Eine Lampe will ich mir morgen kaufen. Die Batterie habe ich noch gerettet. Das Bäume beschneiden wird Frau Remmert wohl besorgen müssen, so nahe den Frieden zu denken, wagt man gar nicht mehr. Muß Marga aber gewachsen sein. Raab hat doch hoffentlich die Einschätzung für uns in unserer jetzigen Steuererklärung, um 1000 M niedriger eingesetzt wie seine. Wollen die Sache mal ruhig laufen lassen, nach meiner Rückkehr sehe ich diese Sachen dann mal gründlich durch. Betreffs des Erbscheins werde ich von Schmalenbach mal schreiben. Enders bereiten mit den Reklamationen ja vielen eine Freude. Speckenbach war Buchhalter. Sein Bruder Fritz aus Bochum hat sich für ihn bei der Firma verwendet, wie er mir heute Nachmittag erzählte. Adamy hat ihn darauf (seinen Bruder Fritz) angerufen und ihm gesagt, eine Reklamation könnten sie nicht begründen, da die Hälfte des Contorpersonals infolge Arbeitsmangel eigentlich übrig sei. Da meinst, ob es noch lange dauern würde bis zu meiner Rückkehr. Ja, da hast Du mir 1 Exempel aufgegeben, daß ich schon immer lösen wollte. Mir wäre es am liebsten gleich morgen. Die Friedenssehnsucht ist bei allen hier gleich groß. Obwohl wir uns bewußt sind, daß sich noch große Ereignisse abspielen müssen, bevor wir den Frieden haben. – So, nun kommt meine Tätigkeit während der 3 Tage hier. Einiges habe ich Dir schon in Egons Brief mitgeteilt. Am Samstag kamen wir kurz vor 10 Uhr an. Schon hieß es: Um 19 Uhr Antreten zum baden. Bin aber nicht mitgegangen, auch viele andere nicht, war vom Marsche hierher ziemlich ermüdet. Habe dann eine gründliche körperliche Reinigung im Quartier vorgenommen. Die Wäsche gewechselt. Lasse die schmutzige zum Waschen im Quartier. Um 130 N[achmittag] war Apell, nach dem exerzieren, nochmals Apell und Postempfang. Alles in allem war es Abend 8 Uhr bis wir mit Allem fertig waren. Gaben uns denn direkt, nachdem noch ein Imbiß eingenommen war, zur Ruhe, bis andern Morgens um ½ 9 Uhr. Es war Kirchgang. Da wir die Bilder machen ließen habe ich diesen versäumt und habe im übrigen den Vormittag mit Schreiben, ich glaube ich hatte 7 Karten und 1 Brief geschrieben, ausgefüllt. 130 war Apell, um 315 exerzieren und nachher noch mal Apell und Postempfang. Unser Dienst war dann gegen 7 Uhr beendet. Nach dem Abendbrot ging ich mit einigen Kameraden zu einem Glase Bier in die Stadt, um 9 Uhr war ich wieder im Quartier. – Hier müssen alle Wirtschaften um 9 Uhr geschlossen sein, alle Civilpersonen um 9 Uhr in den Häusern sein. Widrigenfalls die verhaftet werden von den umhergehenden Patrouillen. Als Arrestlokal dient hier die Kirche, wo auch die Gefangenen gesammelt werden. Gottesdienst wird drin abgehalten. – Heute morgen begann der Dienst um 845 V. mit Exerzieren [sic] bis 1200. Der angesetzte Apell um 130 fiel aus. Dann um 315 N exerzieren [sic] bis 500. 530 Apell, 700 Postempfang. Immer Anschluß, ich frage mich manchmal, ob dies alles nötig sei, im Kriege. Man muß eben mitmachen. Morgen beginnt der Dienst um 800 mit scharfschießen [sic], weiter ist noch nichts bekannt. Gestern Nachmittag und diese Nacht haben die Bayern direkt neben unserer Stellung einen Graben genommen und behauptet. Es heißt, es seien 300 Gefangene gemacht worden, jedoch nur wenig lebend gelassen worden. Die Bayern haben einen kolossalen Haß auf die Engländer. Die „Dicke Berta“ soll auch hier in der Nähe Aufstellung gefunden haben, zu welchem Zweck, entzieht sich meiner Kenntnis. Vorgestern bestrafte unser Comp. Führer 5 Mann mit 3 Tagen Mittelarrest, weil sie sich vor dem Dienst gedrückt und zu spät zum Dienst gekommen waren. Weitere hatten Nachexerzieren, weil sie auf Posten im Schützengraben schlafend gefunden waren. Soeben hat es 10 Uhr geschlagen. Die anderen 3 sind zur Ruhe gegangen. Haben bis jetzt auch geschrieben. Es sind die beiden Quartiergeben (Mann und Frau) noch hier im Zimmer, die auch wohl gerne zur Ruhe wollen. Und so will ich es dann für heute genug sein lassen. Morgen wird noch wohl wieder Zeit für ein Briefchen übrig bleiben. Uebermorgen geht’s bekanntlich wieder in den Schützengraben, zunächst in Ruhestellung. Also grüße unsere lieben Kinder, auch Elly, Remscheids u.s.w.
Vor allem sei Du besonders herzlich gegrüßt und geküßt von
Deinem Ernst.
Gute Nacht und Gott befohlen!


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