Man hat ein Betäubungsmittel erfunden

Meine liebe Lydia!

Gestern bin ich nicht zum Schreiben gekommen. Dafür nun heute soviel mehr. Gestern empfing in [?] Egons Brief vom 10. Heute Deinen vom 19. und das Paketchen mit Butter etc. von Egon & Marga. Packe die Würfel nicht wieder lose ein. Durch das viele hin- und herwerfen waren diese zerquetscht und mit den Apfelsinen zu einem Klumpen geworden. Durch die Feuchtigkeit war eine Paketecke ganz abgestoßen. Drin war noch alles und zu gebrauchen war es auch noch. Die Post wird jetzt immer morgens um 10 Uhr empfangen, früher abends vorher. Zunächst folgendes zu Deinem Briefe: daß ich an den Kämpfen nicht teilgenommen habe, weißt Du schon. Die Sehnsucht nach Frieden ist auch hier allgemein. Ich glaube und hoffe auch, daß der Krieg bei vielen und bei uns in derart erzieherisch seine Wirkung schon getan hat, daß manches im Zusammenleben, d.h. ein gegenseitiges Verstehen, besser wird. Aber so schlimm war es doch auch gar nicht. Nach den Wogen, die mal hochgingen, kam immer wieder Sonnenschein, und wolle [?] nicht immer einer der erste sein. Wars nicht so? wie Kinder, was? Mit dem Vertrage wird es wohl nun in Ordnung sein, mit Elise. Eine Aushändigung davon bekommt sie doch. Sie oder Du, kannst ja mal ruhig zu einem Rechtsanwalt gehen, meinetwegen nach Schmalenbach, und Dich befragen, ob der Vertrag in der Weise in allen Fällen rechtskräftig sei. Ob das was auf sich hat, mit den Schreinerarbeiten in Wiblingwerde, weiß ich nicht. Wenn die was eiliges zu machen hätten, warum sollten wir das nicht tun? Ob und wann Du ein Einzelbild von mir bekommst, weiß ich nicht. Habe gestern mit Speckenbach darüber gesprochen, er will wenn es geht nach Werwick in den ersten Tagen, und mir die Bilder, falls diese überhaupt gemacht sind, mitbringen. Sollte es mit meinem Urlaub was geben, habe noch nichts wieder davon gehört, muß ich mal selbst vorbeigehen. Denn von dort müßte ich die Eisenbahn benutzen. In Hohenlimburg bist Du denn ja wohl gewesen.
Eine H. Zeitung ist hier nicht, wohl eine Haafer [?]. In letzten wurden mehrere Zeitungen aus aller Welt, an die Comp. gratis verteilt, die wir zu lesen bekamen. Den Gruß von Elly erwidere ich herzlichst. So nun meine letzten Erlebnisse: der vorgestrige Tag brachte uns eine kleine Ueberraschung, die glücklicher Weise nicht ausgeführt wurde. Am Abend vorher wurde bekannt: 515 morgen früh steht die Comp. zum Ausmarsch bereit! So lautete der Befehl. Das ganze Batl. war in Alarmzustand. Ebenso die Truppen [die] in Comines und Werwick und Menin liegen, mit aller Bagage etc. Was nun werden sollte und wofür, da wurde drüber hin und her diskutiert. Niemand wußte bestimmtes. Der Eine sagte: Es geht in die Karpathen, der andere behauptete, wir kämen als Reserve für einen Sturm auf Ypern in Betracht. Und der letzte sollte Recht behalten. Punkt 5 Uhr andern morgens standen wir zum Ausrücken fertig. (Jetzt wurde uns auch klar, daß nicht allein der Flieger halber das Exerzieren ausgefallen war, sondern daß man uns wegen des bevorstehenden Sturms die Ruhe gelassen hatte. Aber es kam anders. Bevor der Befehl zum Abmarsch kam, kam ein Gegenbefehl: Wegtreten! Frohen mutes [sic] gingen wir dann in unsere Baracken und dann gleich herauszutreten zu Schanzarbeiten für eine Reservestellung hier in unserer Nähe. Die Bagage, d.h. alles Fuhrwerk, was zum Batl. gehört, war schon in der Nacht fortgefahren. Ebenso die neunte Comp. war Nachts 2 Uhr abmarschiert. Alle kehrten dann im Laufe des Vormittags zurück. Andre Truppen aus Menin, Werwick etc waren auch schon zum Teil ausgerückt gewesen. Wie war nun der Sachverhalt? Es ist ein Geheimnis, es darf selbst darüber nichts nach Hause geschrieben werden. Weil man befürchtet und mit Recht, es könnte was in die Presse gelangen und es könnte der Feind Kenntnis auf diese Weise davon bekommen. Aber das ist hier nicht der Fall. Also: Man hat ein Betäubungsmittel erfunden und dieses sollte angewandt werden (wir hatten schon solche Säckchen empfangen, die man in Gefahr vor Erstickung unter die Nase hält). Nun muß der Wind dabei das Mittel in die Reihen der Feinde treiben. Tags vorher war die Windrichtung gut und da der Wind sich gedreht hatte, konnte das Verfahren nicht angewandt werden. Vielleicht zu unserm Glück. Es kann jetzt passieren, das [sic] wir gerade in Stellung sind und da geht es wohl nicht vor. Bei günstigem Winde wird die Sache wohl gemacht werden. Ypern soll dann gleich genommen werden. Wenn alles geklappt hätte, wären wir vielleicht dann in Ypern, oder auch nicht? Leider sollen bei einer unvorsichtigen Hantierung 40 [?] unserer braven Pioniere ihr Leben durch das Betäubungsmittel eingebüßt haben. Gestern und heute haben wir dann den gewöhnlichen Dienst gehabt. Uebrigens sind wir, d.h. die Unteroffiziere zu einem Glase Bier eingeladen, daß wird wohl mit der Beförderung unseres Comp. Führers vom Leutnant zum Oberleutnant zusammen hängen. Es heißt, jetzt soll immer des Abends abgelöst werden. Es könnte nun sein, daß wir schon heute Abend zum Knüppeldamm müßten oder aber auch erst morgen Abend. Wie gesagt, Bestimmtes weiß ich nicht. Beim Militär weiß man immer alles erst 5 Minuten vorher. Ein Unteroffizier von der Comp. wurde auf Reklamation seiner Firma auf 2 Monate beurlaubt. Ein Musketier (aktiv) der sich 2mal entfernt hatte, was ich Dir wohl schon geschrieben hatt[e], ist jetzt mit 7 Monaten Gefängnis bestraft worden. Jedoch ist ihm in Aussicht gestellt, daß bei guter Führung ihm die Strafe im Gnadenweg erlassen werden solle. Die Strafe muß er wohl erst nach Beendigung des Krieges absitzen. Soll mich wundern, was mit Japan und China wird und ob Amerika die Stange halten will. Sonst wüßte ich nichts Neues mehr zu schreiben. Es ist jetzt 1 Uhr Mittags. Gleich haben wir Apell und dann soll noch exerziert werden und nachher ist noch mal Apell. Zwischendurch habe ich mal Mittag gegessen: Wurzelsuppe und Fleisch, war nicht schlecht. In den letzten Tagen giebt es wieder reichlich Portionen an Speck, Käse, Schmalz etc. Es hat wohl einmal vorübergehend dran gefehlt. Sollte ich heute Abend noch Post bekommen und wir heute Abend noch in Stellung müssen, dann werde ich wohl Gelegenheit haben, mal von dort zu schreiben. Es soll mich wundern, wann der vorher erwähnte Angriff erfolgt und ob wir mit dabei sind. Doch komme es wie es wolle. Vor Gefahr ist man hier nirgendwo sicher und kann mich hier eben so gut eine Kugel treffen wie bei einem Angriff. Ich denke immer: Wen eine Kugel treffen soll, den trifft sie. Wenn es Gottes Wille ist, daß ich Euch erhalten bleiben soll, wird es geschehen. So, nun Schluß. Grüße unsere lieben Beiden. Auch Remscheids. Dann mit Gott.
Besonders sei Du herzlichst gegrüßt und geküßt von
Deinem Ernst.
Es soll mich wundern, wenn ich mal von Ra. etwas bekomme! Es stimmt, einen Satz hattest Du neulich in einen [sic] Briefe nicht vollendet, weiß aber jetzt nicht mehr, was Du geschrieben hattest.


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