Meine liebe Lydia!
Empfing gestern Abend Deinen und Egons Brief vom 1.11.14. Heute Deine Karten vom 30.10 und 2.11. Es freut mich, daß Egon wieder soweit hergestellt ist, daß er die Schule wieder besuchen kann. Die Todesanzeige von E. Machelett1 las ich hier in der Lüdensch. Zeitung. Wie ich weiter aus dem Briefe [entnehme] sind immer noch mehr Verwandte und Bekannte von dort auch tot, verwundet, oder in Gefangenschaft. Aber es werden noch mehr Opfer gebracht werden müssen. Daß die Lebensmittel so sehr steigen, liegt wohl auch viel daran, daß außer Beschlaglegung durch die Militärbehörde, viele Grundbes[itzer] und Bauern die Sachen festhalten und selbst in dieser schweren Zeit, ein gutes Geschäft machen wollen. Aber so schnell geht dies nicht mit dem Urlaub, gern möchte ich Euch damit überraschen, doch will ich erst Euer Gesuch von dort abwarten. Unser Comp. Führer will vor dem 15ten keinen Urlaub mehr gewähren, weil schon so viele in Urlaub sind. Die Taschenlampe, Zigarrentasche erhalten. Vom Frauenverein und Raab noch nicht. Von einer Sendung Rum und Kakao sieh mal ab. Wohl kann ich hier kochendes Wasser bekommen, da wir keinen Spirituskocher auf der Stube haben. Vielleicht nehme ich mir welchen mit, wenn ich in Urlaub komme. Alles andere, was ich dann für den Winter wohl noch gebrauche, kann ich dann auch mitnehmen. Egon schreibt mir, Marga sollte mir auch schreiben, doch sie spielte lieber mit der Puppe. Es ist auch nicht nötig, daß sie mir schreibt, erfahre ich doch alles von Euch beiden und für einen Gruß drunter zu schreiben hat sie doch noch immer Zeit gefunden. Wie ich weiter sehe, habt Ihr von Wiblingwerde auch Besuch gehabt. Hast Du, resp. Ihr mich denn nicht tel. hier erreichen können, weil Du mir auf Deiner Karte schreibst (vom 2.11.), daß Du es morgen versuchen wolltest? Von Liesen habe ich noch nichts bekommen. An Fritz will ich noch heute eine Karte schreiben. Habe ihm allerdings schon vorher 2 Karten geschrieben, die ich jedoch vor einiger Zeit wieder zurückbekam. Vom Turnverein bekam ich auch heute noch 5 Cygarren und dem ich auch noch durch Karte meinen Dank abstatten will. – Heute Morgen eine kleine Felddienstübung gemacht und dabei die …[?] gestellten Infanteriebefestigungen probeweise besetzt. Wie unser Comp. Führer sagte, dürften wir in nächster Zeit mal ein Probe Alarm haben. Heute Nachmittag hatten wir 1 Stunde Wettlaufen. – Wir sind hier richtig in die Jungmühle geraten. Obwohl mir als alter Landwehrmann manches spaßig vorkommt, muß man eben alles mitmachen. Warst Du auch bei Machelett und hast kondoliert? Inacker sitzt neben mir und studiert Lüdenscheider Nachrichten, am Nebentisch sitzen 2 Parteien und vertreiben sich den Abend mit 66 spielen, darunter auch Speckenbach, und so verbringt jeder seinen Abend auf seine Weise. Auf den Mannschaftstuben dasselbe Bild. Dabei höre ich von mehreren Stuben, besonders von denen der Ersatzreservisten und Rekruten frohe Marsch- und wehmütige Heimatlieder. Sonst nichts Neues, morgen mehr. Herzl. Gruß und gute Nacht Ruhe, auch für die Kinder, Dein Ernst.
in die Jungmühle geraten
von
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