Gewiß bitter für die heimischen Bevölkerung

Meine liebe Lydia!

Meine Post, auch an die Kinder, werdet Ihr wohl alle erhalten haben. Gestern erhielt ich keine Post von Dir, nur 1 Paketchen von Raabs, mit Kaffeemehl, Bouillonwürfel, Rumwürfel [?], Käse, Chokolade und Cygarren. Jetzt ist es 11 Uhr. Soeben sind wir von der Parade zurückgekommen. Gestern Abend 8 Uhr war großer Zapfenstreich. Ich glaube es nahmen an dem Umzug 4 Regimentskapellen teil, dazu eine Infanterie Comp. mit Gewehr und Fackeln. Der Zug bewegte sich zunächst durch die Hauptstraßen und endigte dann auf einem großen freien Platz inmitten der Stadt gelegen. Hier spielte die Musik dann noch den großen Zapfenstreich. Es war ein ergreifendes Bild, wie es hieß: Helm ab zum Gebet und die Musik: „Ich bete an die Macht der Liebe“, intonierte, denke, mitten in Feindesland eine solche erhebende Feier! Die Belgier guckten hier und da verstohlen hinter den Gardinen her, der Veranstaltung zu. Man muß sich in die Lage der heimischen Bevölkerung denken. Gewiß bitter für die.
Heute Morgen war um 8 Uhr Gottesdienst hier für beide Confessionen. Es konnten nur kleine Abordnungen teilnehmen, da die Kirche nicht alle fassen konnte. Ich war aber mit dabei. Es wurde gesungen: Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren. Dann hielt der Pfarrer eine der Feier des Tages angemessene Predigt, die für die meisten fast unverständlich war, weil der Pastor von vielen abgelegenen Plätzen, es war eine große Kirche, nur unverständlich war. – Zum Schluß sangen wir noch: Großer Gott wir loben Dich und der Gottesdienst war beendet.
Nachdem war Aufstellung der einzel-Regimenter, es konnten wohl 4 oder 5 Stück sein, zum Parademarsch. Dann wurde mit Musik im Parademarsch an dem kommandierenden General v. Demling in Gruppenkolonnen vorbei marschiert. Dann rückten die Comp. wieder in die Quartiere. Heute abend soll die Feier dann in den Comp. Quartieren stattfinden. Dabei sollen einige Ansprechen und Gesangsvorträge gehalten werden. Auch hat die Comp. dort 500 l deutsches Bier beschafft. Außerdem soll es ein einfaches „besseres“ Abendessen geben. Ueber den Verlauf dann morgen mehr. –
Gestern wurden in der Comp. die Weihnachts-Liebesgaben verteilt. Es war allerhand. Taschentücher, allerlei Gebäck, Strümpfe, Ohrenschützer etc. und noch viele nützliche Sachen. Ich habe 25 Cygarren bekommen. Schicke mir nun keine Cygarren oder Tabak mehr, denn ich bin jetzt reichlich damit versehen. Husberg sah ich auch heute morgen, ist wieder gesund. Dagegen Speckenbach noch nicht; kommt sowie mir Husberg sagt, nach Gent ins Lazarett. Ist glaube ich Magenkrank. Zur Feier des Tages wurden bei uns einige Beförderungen, nur eiserne Kreuze verteilt. – Wie schnell die Tage doch hier rum sind. Noch 4 Tage und sind wir in Stellung. Hoffentlich hält das gute Wetter an. Die Bayern direkt neben unserer Stellung sollen einen Sturmangriff gemacht haben und dabei 400 m Gelände gewonnen haben. Auch hat wieder eine Seeschlacht stattgefunden. Genaue Einzelheiten weiß ich nicht. Sonst noch alles wohl. Hoffentlich auch dort. Morgen mehr.
Dann mit Gott, und herzliche Grüße und Küsse, auch für unsere Kinder;
Dein Ernst


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