Die Musik ist abgerückt

Meine liebe Lydia!
Gestern empfing ich Deine Karte vom 29 v.M. und Egons Karte vom 28. Heute Morgen eine von Elly. Das Paket von Raab aber noch nicht bekommen. Elly schreibt mir über ihren Bruder. Es wäre gut für die ganze Familie, wenn Sie [sic] wenigstens bestimmt wüßten, wo sie dann wäre. Ich hatte ja auch geschrieben betreffs meines Urlaubs, hoffentlich ist der Brief schon dort. Denn wenn G. Nachrodt 6 Wochen Urlaub hat, denke ich doch mindestens 14 Tage zu bekommen. Da hat sich auch ganz sicher die Firma hinter gesetzt und von dort aus dem Urlaub nachgesucht. Sage R. er möchte doch so gut sein, und die Sache direkt in die Wege leiten. Es werden sowieso dann noch ca. 14 Tage vergehen, bis die Sache erledigt ist. Also seht mal zu, was sich machen läßt. Den Brief den Teutemann mitgenommen und in Werdohl in den Kasten geworfen hat, wirst Du wohl erhalten haben. Der hat 6 Tage bekommen. Die hätte ich ja schließlich auch bekommen, doch wenn man dann für die Fahrt 2 volle Tage abrechnet, ist die Sache doch wenig lohnend. Speckenbach beabsichtigt auch mit mir zu fahren, da hat man wenigstens etwas Gesellschaft auf der langen Fahrt. Inacker macht vorläufig noch keinen Dienst, doch bleibt er jetzt endgültig bei der Comp. Egon schreibt mir ja auch, daß er immer besser würde. Hoffentlich hat er dann bald seine alten Kräfte wieder. Hier in der Comp. ist jetzt eine Gesangsabteilung gegründet, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Kirchenlieder in der Ermanglung der Musik, die abgerückt ist, in den Gottesdiensten vorzusingen. Außerdem die Marschlieder, außerdem sprechen sie von Einübung der Weihnachtslieder. Ein Frankfurter Lehrer leitet die Sache. Ich weiß nicht, ob ich es Dir schon geschrieben habe. Auf unserer Stube sind wir zu drei Bauunternehmern. Die beiden anderen sind aus Frankfurt. Gestern währte der Kanonendonner hier vor uns heftig fort. Unser Fort liegt sehr hoch und bei hellem Wetter ist hier eine günstige Fernsicht. Man konnte von hier aus abgeschossene Schrapnells in der Luft gut beobachten. Auch konnten wir, da der Wind günstig war, Infanteriefeuer hören. Jeden Tag heftige Kanonade und doch lautete der Bericht, die Lage unverändert. Wann wird der große Entscheidungstag kommen? Es wird noch viel Zeit fließen müssen. Hoffen wir, daß die Lage sich bald zu unsern Gunsten wenden möge. Jetzt morgen mehr. Jeden Tag einen Brief in den letzten Tagen, jetzt komme ich Dir doch vor, ist bald oder ganz mein Schreiberei wie früher in unserer Brautzeit. Fast noch schlimmer was? Also grüße unser Lieblinge und Elise. Sei Du besonders gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst


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