die Daseinsberechtigung unseres Vaterlandes

Meine liebe Lydia!

Es fällt mir gerade ein, daß heute der Todestag meines sel. Vaters ist. Es sind jetzt 14 Jahre verflossen. Damals diente ich noch aktiv. Ich hätte damals nicht gedacht, daß ich jetzt noch als alter Soldat hier in dem letzten Zipfel Belgiens für die Daseinsberechtigung unseres Vaterlandes Wacht halten sollte. Und haben wir beide damals nicht gedacht, soviel Briefe wir vor unserer Heirat in unserm Brautstande, gewechselt, würden wir uns wohl nie wieder schreiben. Und wie ist alles anders gekommen. Es ist dies eine schwere Prüfungszeit für uns alle Beide, überhaupt für alle Beteiligten. Aber wenn Gott es will, daß wir uns wiedersehen sollen, so bleiben doch noch Stunden dabei, woran wir uns gern erinnern werden. Ich kann Stunden liegen, wo meine Gedanken sich ausschließl[ich] mit Dir und unsern lieben Kindern beschäftigen und das ist meine liebste Unterhaltung. Aber nun muß ich wohl aufhören, ein Krieger muß hart sein und auf das Liebste, was er auf Erden besitzt, verzichten können. Doch giebt es Stunden, wie ich sie Dir eben genannt, wo man manchmal wankend wird und den Gefühlen etwas seinen Lauf läßt. – Gestern Nachmittag erhielt ich beiliegende Karte aus Hohenlimburg, welche ich beilege. Ich will Luischen auch noch eben wieder schreiben. Auch lege ich ein kleines Bildchen aus dem Schützengraben bei. Von der Aufnahme hatte ich Dir in vergangener Stellung hier geschrieben. Die Unteroffiziere findest Du auf dem Unteroffiziersbild. Links ist Asbeck, rechts mit mir zum Vize befördert worden und heißt Müller. Wie Du siehst, stehen wir in ziemlich gut gedeckter Stellung, worin uns nur durch feindl. Artilleriefeuer oder ein verirrtes Geschoß treffen kann. Eine solche Sandsackmauer kannst Du Dir gegen alle Fronten denken. Ganz links siehst Du Gewehre in Stützen stehen, die den Posten gehören, die abgelöst sind. Rechts von Asbeck siehest Du 1 Gewehr in der Schießscharte liegen, wodurch beobachtet, und wenn sich da drüben etwas zeigt, geschossen wird. An der Wand hängt der Postenzettel, darunter scharfe Patronen in Leinengurten. Die Abnahmestelle ist gerade an einer abschüssigen Stelle gewesen, daher kommt es, daß die Sandsackpackung so hoch ist. Meistens sind die Deckungen nur mannshoch. – Gestern Abend hatten wir einen Verwundeten am Knüppeldamm. Eine verirrte Kugel traf ihn am Waschen, wo sonst noch nie einer getroffen worden ist. Er bekam einen Bauchschuß. Hoffen wir, daß er mit dem Leben davonkommt. Ich hörte, er sei Familienvater und Vater von 2 Kindern. Er war Ersatz-Reservist aus Mühlhausen / Thüringen gebürtig. Im übrigen ist die Lage hier sehr ruhig. Sonst wüßte ich nichts Neues zu berichten. Gesund bin ich noch, und hoffe dasselbe von Euch. Grüße mir Remscheids und Elly. Vor allen Dingen sei Du besonders gegrüßt und geküßt von
Deinem Ernst.
NB. So mit Gott befohlen und wenn möglich morgen mehr
Nochmals herzl. Grüße
D.E.


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