Der Krieg kennt keine Gesetze.

Meine liebe Lydia!

Zunächst rufe ich Euch, meine Lieben, fröhliche und gesegnete Pfingsten zu. Es ist heute ein richtiges Pfingstwetter, wie man es sich nur wünschen kann. Doch was ist es jetzt ein ganz andres Bild hier. Ein krasser Gegensatz zu den früheren mit Euch zusammen verlebten Pfingsten. Hier lernt man erst den Unterschied richtig kennen. Der Krieg kennt keine Gesetze. Es wird und muß gearbeitet werden, wie an anderen Tagen. Hier in unserer Ruhe haben wir den ganzen Tag Arbeitsdienst. Es müssen zum Ausbau und Befestigung von neuen Schützengräben und zur Instandhaltung Sandsäcke herangetragen und gefüllt werden, Bohlen aller Art, Drahtverhaue etc. Es werden Unterstände gebaut, Wege angelegt, Laufgräben angelegt. Und diese Arbeiten ruhen auch heute nicht. Daneben müssen noch die persönlichen Arbeiten geleistet werden: Waschen, Baden, Postempfang. Gestern Löhnungsapell, Briefe schreiben u.s.w. Selbst des Nachts müssen Arbeitsgruppen in die vordere Linie gestellt werden. So ist den ganzen Tag für Beschäftigung gesorgt. Im Schützengraben ist des Nachts der Dienst auch jetzt anstrengender. Nachts darf kein Mann im Unterstand bleiben, alles muß im Graben sein. Mit Italien scheint der Krieg unvermeidlich zu sein. Alle Welt gegen uns und doch werden wir aushalten. In Arras sollen wir jetzt einen Erfolg gehabt haben. Man munkelt, die Feinde hätten 20 000 Tote, 40 Geschütze verloren, auch hätten wir einige Tausend Gefangene gemacht. Obs sich bewahrheitet? Nun zu Deinem Briefe: Hoffentlich löst Raab sein gegebenes Versprechen, betreffs der 860 M ein. Für Geld wird er dann auch wohl gesorgt haben. Nachricht habe ich lange nicht von ihm bekommen. Es soll wohl sein, daß zu den Materialien, die in der Ratmecke [sic] liegen, nichts zukommt, ist nichts dran zu ändern. Man könnte allerdings den Walter Neuban, der in den neuen Häusern wohnt sagen, daß er sich mal ab und zu darnach umsehen möge und ihm eine Entschädigung dafür zugehen lassen. Sprich mal mit Kattwinkel darüber. Evtl. schreibe ich mal persönlich an W. N. Ich würde auch gerne mal wieder nach Hause in Urlaub kommen, aber da ist dran zu denken. Gott gebe, daß alles eine glückliche Wendung nimmt. Der Streich von Brinker ist einfach unerlaubt. Sollte Egon dadurch Schwierigkeiten haben, so gehst Du am besten mal nach vorheriger Anmeldung zu ihm hin und erklärst ihm die Sache oder ich schreibe persönlich. Brinker ist ein Egoist in dieser Beziehung und werde ich ihm das auch bei Gelegenheit heimzahlen. Ich könnte auch mal darüber schreiben.
Essigessenz schicke mal etwas, das Gebäck heute morgen köstlich gemundet zum Morgenkaffee. Es ist unter 4 Untfz verteilt worden, die sämtlich bei mir in Deckung zusammen liegen. 10 Cygarren hatten die Muhler auch noch mitgeschickt. Zur Feier des Tages wollen wir uns 1 deutsches Bier von Corteville durch 1 Hornisten holen lassen. Morgen früh geht’s dann wohl wieder in vorderste Linie. In der Deckung haben wir einen originellen Ofens stehen. Der ist wie folgt zusammengesetzt: Der Fuß aus einer engl. schweren Granate (sog. Ausbläser) Der [sic] Zwischenstück unter Rost besteht aus einem alten Ofenstück. Der Brenntopf besteht aus einem alten Eimer der mit Zuglöchern vorsehen ist. Der obere Teil ist dann wieder von einem Ofen genommen. Du siehst, was der Krieg erfinderisch ist. Nun für heute genug, so Gott will morgen mehr. Grüße alle, besonders unser l. Beiden.
Von hier Du allerbeste herzlichst gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.
Vorhin besuchte ich einen Schröter Lüdenscheid. Wohnt dort in der alten Schützenhalle, ist zum Regiments Depot kommandiert.
Ich sprach Dir davon, wie wir Frau Speckenbach besuchten. Speckenbach sah ich in letzter Zeit nicht. Es geht ihm aber noch gut.
Melde hätte ich auch mal mitgegessen. Für dieses Jahr soll ich wohl auf das frische Gemüse verzichten müssen.
Jetzt will ich mal einige geistl. Zeitschriften lesen, die gestern verteilt wurden. Es ist jetzt gleich 10 Uhr. Post soll heute keine geben.


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