Cheluwe ist ein schönes Städtchen

Meine liebe Lydia!

An der Ortsbezeichnung siehst Du, daß ich jetzt für einige Tage wahrscheinlich, ein ander Quartier habe. War gestern zum Schreiben zu müde und will es daher heute nachholen. Um ½ 8 Uhr wurden wir gestern früh, nachdem wir 12 Tage beständig dagewesen waren, im Schützengraben abgelöst. Kehrten dann zurück zum Knüppeldamm. Kaum waren wir ½ Stunde da, schon kam der Befehl, wir müßten als Kriegsreserve noch hin. Nachdem wir etwas gefrühstückt, ging die Reise dann los. In Corteville wurde halt gemacht. Erst Kaffee empfangen, dann war Löhnungsapell, dann Postverteilung und im Anschluß darnach Mittagessen. Um 1 Uhr wurde dort abmarschiert bis Werwick. ½ Stunde Halt, gerade Zeit genug um meine Wäsche zu holen, Dann ging es weiter nach hier. Um 4 gelangten wir hier an. Das Wetter war ziemlich heiß und der Weg sehr staubig. Dazu kam, daß wir das Laufen nicht mehr so gewöhnt sind, daher alle ziemlich schlapp. Nachdem der Körper einigermaßen gereinigt und ein Imbiß genommen war, ging es beizeiten auf den Strohsack. Haben Quartier in einer Wirtschaft, mit zusammen 30 Mann bekommen. Verzapft darf aber nichts werden, wir liegen in den Wirtschafträumen. Die 12. Comp. liegt auch hier. Heute morgen um 8 Uhr war Baden. Jetzt ist es gleich 10 Uhr. Um 1130 ist ärztliche Untersuchung. Weiter ist noch kein Dienst bekannt. Cheluwe ist ein schönes Städtchen. Die Unterkunft ist am freien Platz gelegen, der mit großen Kastanienbäumen, die fast schon in der Blüte sind, bewachsen. Dem Quartier gegenüber liegt die Kirche, getrennt durch einen freien Platz, welcher gleichzeitig für uns der Alarmplatz ist. Von hier sind es noch 14 km bis Ypern. Die Post brachte mir gestern 2 Karten von Fritz, von Egon und 2 Briefe von Dir vom 21. und 23., einen mit Einlage von R. Werde letzterem gelegentlich, erst will ich von ihm Rückantwort haben, eine Antwort geben und ist dann hoffentlich die Sache aus der Welt. Am letzten Tage unserer Stellung hatten wir noch einige Verluste zu beklagen: 2 Mann, Ersatzreservisten, tot und 1 Untfz. Langer, der auf dem Bilde an meiner rechten Seite steht, ziemlich schwer verwundet. Eine Miene [sic] von Feindesseite schlug gegen 11 Uhr Nachts in die Deckung ein, wo die drei sich unterhalten haben. Der eine war direkt tot, der andere lebte ungefähr noch 5 Minuten. In nächster Zeit dürften sich hier noch weitere Ereignisse abspielen. Die unseren sind soweit vorgekommen, daß Ypern von vorn und von der Seite beschossen werden kann. Und werden die Engländer wohl sich bald zurückziehen müssen, wenn uns ein weiterer Vorstoß gelingen sollte. Es kommt nur auf den günstigen Moment an, und die Sache wird zum Klappen kommen. Die ärztliche Untersuchung ist auf 245 verschoben. Sonst soll heute kein Dienst sein. Das ist gut. Werde dann heute Nachmittag einen kleinen Bummel durch die Stadt machen könne. Weiter dürfen wir nicht gehen, weil wir ständig in Alarmbereitschaft liegen. Ein Untfz Schäfer, Bauunternehmer in Frankfurt früher in der 1 Comp. 30er hat den Sturm auf Höhe 60 mitgemacht. Hat 14 Tage Urlaub jetzt bekommen. Er erhält das Eiserne Kreuz und wird zum Vizefeldwebel befördert. Heute wieder herrliches Wetter. In den letzten 10 Tagen ist die Natur kollosal [sic] vorgeschritten. Mit Speckenbach sprach ich auch noch gestern auf einige Minuten. Sonst nichts von Belang. So Gott will, morgen mehr.
Grüße unseren l. Kinder. Vor allen sei Du vielmals herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.
Habe gestern noch einige Ansichtkarten gekauft und will den nächsten Verwandten eine davon schicken.


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